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"Die Kunst des Scheiterns"

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Predigt von Tadeusz Prokop


Bekenntnis zum Scheitern als Pfarrer
Vor nicht allzu langer Zeit habe ich  in einer Predigt bekennt, dass ich als Pfarrer gescheitert bin. Das war zum 20 Jahrestag meines Wirkens in dieser Gemeinde.  Ich bin gescheitert weil Visionen nicht aufgegangen sind und ich die meisten Pläne nicht verwirklichen konnte. Ich dachte, dass diese Kirche sich bald füllen wird, wenn ein neues modernes Gebäude gebaut wird. Wir haben es seit 8 Jahren. Und wenn neue Arten von Gottesdiensten angeboten werden, die den sog. modernen Menschen ansprechen. Dieses Konzept haben wir  vor  etwa 15 Jahren eingeführt. Das war ein Irrtum.  Nicht nur die Zahl der Gemeindemitglieder hat sich in diesen zwei Jahrzehnten etwa um die Hälfte reduziert. Auch der Gottesdienstbesuch nahm ab.  Aber auch in anderen Bereichen der Gemeindearbeit gibt es keinen spürbaren Erfolg.

Scheitern ist ein Tabu

Es war für mich sehr interessant zu beobachten, wie die Gemeinde auf meine Worte reagiert. Wie der Nebel, der sich auf das Tal senkt, so lag das Schweigen über den Menschen, die den Gottesdienst besucht haben. Nur eine einzige Person ging auf meine Worte ein und brachte es öffentlich zum Ausdruck, dass es schade war, dass darüber  nicht gesprochen wurde.
Es gibt nur noch wenige Tabus in unserer Gesellschaft.  Eines davon ist das Scheitern. In einer vom Erfolg besessenen Welt gibt es keinen Platz für die Niederlagen. Scheitern  wird systematisch ausgeblendet - ähnlich wie der Tod. Karriere machen, Erfolge haben, Siege feiern! Mit großen Lettern werden solche und ähnliche Parolen an die bürgerlichen Fahnen geschrieben. Auch wenn die vielen Möglichkeiten des Scheiterns  von Staaten, Banken und Wirtschaft  sich in den letzten Jahren plastisch vor unseren Augen präsentiert haben, wird über das persönliche  Scheitern immer noch geschwiegen. Dieses  Scheitern ist so peinlich, dass sogar die unverschuldete Arbeitslosigkeit oder eine Krankheit als persönliche Niederlage empfunden wird.

Scheitern trifft einen Glaubenden mit doppelter Heftigkeit
An diesem Punkt muss ich allerdings meine Gemeinde ein wenig in Schutz nehmen. Wenn ein Mensch an Gott glaubt und ihm sein Leben anvertraut, trifft ihn am Ende eine Niederlage doppelt. Ich weiß dass es etwas verallgemeinernd klingt, es dürfte aber in Grundzügen  stimmen: viele Glaubenden machen aus ihrem Glauben eine Methode um  Gott zu instrumentalisieren. Sie  soll vor Krisen und dem Scheitern schützen.  Vor kurzem habe ich einen Brief per Internet bekommen wo es um die Weichenstellung für ein Missionswerk ging, das durch personelle Krisen erschüttert wurde. Darin war zu lesen: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit Gottes Hilfe die Herausforderungen meistern werden".  Was passiert aber, wenn eine solche Rechnung nicht aufgeht?  Dann sind viele mit ihrem Latein am Ende, mit  der Kraft und dem Vertrauen. Nicht wenige empfinden in solchen Momenten  keinen Halt und keinen Trost mehr. Wo ist Gott? Warum hat er mich nicht geschützt? Kann er nicht oder will er nicht? Habe ich Fehler gemacht? War mein Glaube nicht genug stark?

Niemand ist vor dem Scheitern geschützt

Keine Angst: Scheitern ist nicht ansteckend! Dennoch: niemand ist davor geschützt! Von Kindheit auf bis zum Sterben wird der Mensch vom Scheitern begleitet: schlechte Noten in der Schule zu haben oder eine Klasse wiederholen zu  müssen, keine Arbeit zu bekommen trotzt erfolgreich abgeschlossener Lehre oder des fertigen Studiums, sich ausgeschlossen zu  fühlen, nach vielen Jahren von  einer Firma gekündigt werden, ungewollt kinderlos zu bleiben, sich als untalentiert zu erleben, keinen Partner fürs Leben zu finden oder zu erkennen, dass der gewählte nicht der richtige ist, geschieden zu werden, ein Problemkind großziehen  zu müssen, krank zu werden, mit Problemen des Altwerden  konfrontiert zu werden, nicht genug Rente zu  bekommen, sich im Stich gelassen zu füllen.
Ich bin im Glauben noch andersherum gescheitert: so viele Wahrheiten über das Evangelium entpuppten sich als falsch; es gab so viele Unfälle, so viele Verluste, so viele Vermutungen, so viele Vorbilder, die gefallen sind. Und vor allem die These, dass der Glaube das Leben verändert, dass die Leute einen merklichen Unterschied sehen würden, wenn ich Christ bin - nein, das glaube ich nicht mehr! Es ist für mich eine fromme Lüge!

Die Kunst des richtigen Scheiterns
Doch wie scheitert man richtig? Worin besteht die Kunst des Scheiterns? Von einem Krisenberater stammt folgende Definition:  
"Ich halte das «Scheitern» für eine Kunst, wenn am Ende das Gefühl der Lebendigkeit langfristig gestärkt wird".

Wie scheitert man richtig?

Das erste Gebot für das richtigen Scheitern lautet: Man muss das Scheitern mit aller Klarheit eingestehen, bekennen und annehmen! Und das ohne falsche Schamgefühle!
Es war für mich anfangs irritierend, warum Petrus von Jesus drei Mal die gleiche Frage hört: "Hast du mich lieb?" Petrus war ein Gescheiterter: er hat den Druck unter dem Kreuz nicht ausgehalten und  hat Jesus verleugnet. Diese dreimalige Frage verursacht Schmerzen und es wird ihm bewusst, dass er ein Loser ist. Nun schaut Petrus dem Leben ins Gesicht. Er bekommt einen klaren Kopf und gibt alle Phantasievorstellungen vom Leben auf. Petrus begreift, dass alles in seinem Leben mit Problemen behaftet ist und er füllt sich darin vollkommen verloren. Dieser  ehrliche Blick zwingt ihn, Ordnung in das Chaos seines Lebens zu bringen. Traurig, vielleicht unter Tränen, aber unter  befreienden Tränen, antwortet er drei Mal: "Herr, du weiß, dass ich dich lieb habe".
Und damit sind wir beim zweite Gebot, das helfen soll, richtig zu scheitern, damit man  am Ende lebendig wird: eine Alternative finden!  Wer keine Alternative findet, für den verliert das Leben am Sinn!
Ich und meine Frau haben eine Freundin, die wie wir aus Polen stammt und seit etwa 20 Jahren mit ihrem Mann in Italien lebt. Zuerst ging es bergauf: das Ehepaar hat erfolgreich eine Cafeteria betrieben. Doch die Konkurrenz machte Druck. Der Betrieb musste nach einem erbitterten Kampf ums Überleben  aufgegeben werden.  Nach längerer Zeit ohne Arbeit hat ihr Mann einen Job bekommen mit dem er recht unglücklich ist und viel Stress in die Beziehung bringt.  Und sie ist  vor einem Jahr, mit 52,  am Parkinson-Syndrom erkrankt. Wir haben sie vor einigen Tagen besucht und gestaunt, wie sie in das Chaos ihres Lebens neue Ordnung gebracht hat. Sie hat neue Ziele definiert und sie hat neue Wege beschritten. Sie leidet an ihrer schlechter werdenden Motorik, hat Probleme beim Gehen - doch als Person bleibt sie in einer Vorwärtsbewegung. Wer richtig damit umgehen kann, erkennt den Gewinn, der im Scheitern liegt. 

Scheitern lernt uns das Loslassen
Scheitern kann noch im anderen Sinne eine große Schule des Lebens und des Glaubens sein. Wer die Herausforderungen des Scheiterns wahrnimmt, der wird sich auf das große Loslassen vorbereiten, das auf jeden von uns wartet. Darum sollen wir es einüben: Kinder loslassen, Eltern loslassen, den Beruf, die Gemeinde, die Welt, aber auch die falschen Vorstellungen von Gott und Glauben um zu merken, wie Petrus, dass allein die Liebe zu Gott  in der Nachfolge zählt. Wir werden Frieden haben. Wie der rumänisch-französische Dramatiker Eugen Ionesco inmitten einer  Depression sagte: „Nichts entmutigt mich, nicht einmal die Entmutigung“.


 

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