"Stille entdecken?"
In einer Zeit, die von Lärm und Hektik bestimmt ist, sehnen wir uns nach Stille, doch nur wenige finden sie. Was können wir dagegen tun?
Ob Sie ähnliche Erfahrungen kennen? Kaum hat der Tag begonnen, schon hat er einen in seine hektische Laufbahn mitgenommen. Angefangen hat er eigentlich noch ganz ruhig, bis es beim Frühstück klingelt und ein Frühaufsteher auf dem anderen Telefonleitungsende einem begreiflich macht, warum man diesen Tag so früh beginnen sollte. Hat man das dann doch kapiert und den letzten Schluck Kaffee zu sich genommen, reißen einen die eigenen Kinder mit dem Schrei nach den vergessenen Schulklamotten, die nun auch prompt zu finden sind, endgültig aus dem Morgenschlaf. Der ausgebrochene Tageslärm begleitet einen dann auf dem Weg von einem zum anderen Tagespunkt, bis man endlich mitten im Tagesgeschehen steht, mit seinem Wettkampf der Lautstärke, die man nun widerstandslos über sich ergehen lässt. Als sich der Tag neigt...da lässt man noch den Lärm der Glotze ertönen, bis es dann den einen endgültig ins Bett geworfen hat, um der Stille der Nacht Platz zu machen.
Stille ist eine Mangelware
In unserer unruhigen, lauten Zeit gleicht die Stille einem Luxusartikel - ähnlich dem Wasser, das jemand, der in der Wüste am Verdursten ist, in einer Oase entdeckt. Es ist eine Zeit zunehmender Mobilität und wachsender Hektik, in der wir leben und die viele unserer Zeitgenossen mit totalen Arbeits- und Freizeitansprüchen konfrontiert. Weil sie eben 'total' sind, kann es wenig Raum für Stille geben. Deshalb ist Stille zum Fremdwort unserer Tage geworden. Stille steht gegen den Trend. Und doch sehnen wir uns danach: Endlich einmal zur Ruhe zu kommen, weil wir Stille brauchen. Vielleicht ahnen wir sogar, gerade dann, wenn Hektik und Lärm uns zu schaffen machen, dass "Menschen" - wie es ein unbekannter Dichter ausdrückte - "welche die Ruhe nicht mehr kennen, auch im größten Reichtum ein armes Leben führen".
Stille ist Lebenseinstellung
Wobei Stille - damit einige Missverständnisse ausgeräumt werden - nicht unbedingt mit Geräuschlosigkeit und dem Schweigen etwas zu tun haben muss. Gemeint ist nicht die äußere, sondern vielmehr die innere Stille. Richard J. Foster, Gründer der geistlichen Erneuerungsbewegung in Amerika, bezeichnet sie als "Einsamkeit des Herzens". Diese erklärt er folgendermaßen: "Es gibt eine Einsamkeit des Herzens, die zu allen Zeiten gepflegt und beibehalten werden kann.Ob man von vielen Menschen umgeben oder äußerlich allein ist, spielt im Hinblick auf diese innere Aufmerksamkeit keine entscheidende Rolle...Mitten in Lärm und Verwirrung finden wir uns in einer tiefen, inneren Stille vor...". Wer diese Art der Stille entdeckt, der wird die wohltuende Erfahrung machen, dass auch "Ein Tag voller Lärm und Gespräche" ein Tag der Stille sein kann . Stille ist keine Methode, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung! Einsamkeit des Herzens bedeutet, dass man es pflegt; das Herz, die Mitte eines Menschen bedeutet: von Lärm, Hektik und Unruhe fernzuhalten.
Stille konkret
Doch wie sieht die Einsamkeit des Herzens praktisch aus? Es gibt im deutschsprachigen Raum ein christliches Magazin, das "Aufatmen" heißt und für Menschen gedacht ist, die sich nach Erneuerung des Lebens und Glaubens sehnen. Damit Stille zur Lebenseinstellung wird, ist es wichtig, mehrmals am Tag aufzuatmen, kleine Atempausen, die der Tag mit sich bringt, zu nutzen. Ein paar richtige Minuten frühmorgens, bei einer Tasse Kaffee, mehrere Besinnungspausen mitten im Tagesgeschehen helfen uns, ganz da zu sein, wo wir uns gerade befinden. Aber auch ein von Lärm ungestörter Ort - eine ruhige Ecke im Garten, ein Raum, in dem ich allein sein kann - sind willkommene Oasen der Stille. Sie schenken Durchblick, Einblick in den eigenen Weg, aber auch Ausblick auf die Zukunft.
Stille vor Gott
Die Einsamkeit des Herzens ist nicht nur eine wichtige Lebenseinstellung, sondern eine Grundlage für die Begegnung mit Gott. Wir können auch hier viel von Jesus lernen, der den Weg in die Einsamkeit und Stille zu einem vielgeübten Brauch machte. Der Mensch muss still werden, damit er die Stimme Gottes hört. Erst in der Stille schenkt Gott den Einblick in seinen Willen, gibt Ausblick auf meine Zukunft, gibt in den Wirren der Zeiten Orientierung, ermöglicht, das Wesentliche nicht in der endlichen Welt, sondern beim ewigen Herrn zu suchen. Erfüllt ist ein Leben, wenn Gott in die Stille hineingeredet hat. Ist der Mensch von Lärm erfüllt, muss Gott schweigen. Entleertes Leben heißt: Gott ist zu kurz gekommen. Für die Stille vor Gott gelten ähnliche praktische Übungen, wie für die Stille im allgemeinen. Gemeint ist nicht das angespannte Viertelstündchen am Anfang des täglichen Terminkalenders, ehe das Rennen beginnt, sondern das bewusste Einüben der Einsamkeit mitten im Tagesgeschehen, damit Gott reden kann.
Autor: Tadeusz Prokop