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"Ich bin religiös flexibel"

religiös flexibel online gottesdienst aus judenburgPredigt von Tadeusz Prokop

Es gibt keine Wahrheit, alle Wahrheiten sind gleichgültig
Die Parabel von den drei Ringen dürfte vielen bekannt sein. Sie wurde von Gotthold Ephraim Lessing, einem der bedeutenden deutschen Dichter vor etwa 230 Jahren verfasst. Der Sultan Saladin steckte in Geldnöten. Nun fragte er den weisen jüdischen Kaufmann Nathan welche von den Religionen wahr sei.  Sollte ihm die überzeugende Antwort nicht gelingen, müsse er ihm sein Geld geben. Nathan erzählte  dem Sultan die Ringparabel. In dieser geht es darum, dass ein Vater einen kostbaren Ring besaß und diesen an einen seiner drei Söhne vererben wollte. Da der Vater einen Streit in der Familie vermeiden wollte und sich außerdem nicht entscheiden konnte, ließ er den Ring dreimal nachfertigen, von denen jeder Sohn jeweils einen erhielt. Nach dem Tod des Vaters stritten sich die Söhne darum, wer den echten Ring besaß. Man ließ die Ringe prüfen, es stellte sich allerdings heraus, dass keiner der Drei echt war. Die Ringe könnte man mit den drei Weltreligionen vergleichen, Judentum, Christentum und Islam. Jeder der drei Söhne glaubte, sein Ring wäre der Wahre. Daraus folgte, dass keine Religion die Beste sei und  keine von ihnen den Anspruch auf die  alleingültige Wahrheit erheben kann. Diese Ringparabel scheint  für unsere Zeit geschrieben zu sein mit dem Unterschied vielleicht, dass die Frage nach der Wahrheit von den Zeitgenossen viel radikaler beantwortet wird. Es gibt nicht die eine Wahrheit, sondern viele verschiedene. Jeder hat seine eigene. Man ist nicht auf eine Wahrheit fixiert und lässt sich nicht sagen was die Wahrheit ist, sondern man ist flexibel und tolerant - auch religiös. Da die Antworten nicht mehr bei den Kirchen gesucht werden, werden die Kirchen bis 2040 ein Drittel ihrer Mitglieder verlieren und parallel dazu Finanzen und Personal. Die Kirchen werden kleiner und ärmer, ihre Mitglieder werden älter und die Kirchenbänke bleiben am Sonntag leer.

Pluralismus und Relativismus haben eine vernünftige Begründung
Sollte uns diese Entwicklung Angst machen, uns verunsichern, uns ratlos machen? Sollten wir den alten, guten Zeiten - falls wir solche kennen - nachtrauen oder sogar ihre Rückkehr beschwören. Müssen wir von einer gottlosen, verwirrten Welt sprechen - auch innerhalb der Kirche?  Sollten wir uns davon distanzieren, uns abgrenzen, zu unseren Fundamenten zurückkehren oder aber in den Markt der religiösen Strömungen und Angebote einsteigen und konkurrieren?
Ich sehe das mit Gelassenheit und bemühe mich der Orientierungslosigkeit und dem Werteverlust unserer Zeit auf die Spur zu kommen.
Nach einem Gottesdienst indem ich etwas  spontan und emotional die Kritik des Kapitalismus wagte, erhielt ich einen Brief. Der Verfasser entpuppte sich darin als Verteidiger des Systems, das vielen Menschen im Vergleich mit Zeiten der Armut und Unterdrückung  Wohlstand und Fortschritt gebracht haben sollte. Ich habe auf diesen Brief keine Antwort gegeben, da anfangs erwähnt wurde, dass über diese Frage eine der Freundschaften in Brüche gegangen ist. Zu seinen Freunden zähle ich zwar nicht, wollte aber in einer Zeit, in der ich recht viele Konflikte erlebte, nicht unbedingt noch einen wagen.  
Ich bin mir nämlich sicher, dass die Skepsis der Wahrheit gegenüber Folge eines epochalen Zerfalls ist,  nämlich der Grundüberzeugung der Aufklärung, die Wirtschaftlich durch den Kapitalismus maßgebend geprägt wurde: Die Wissenschaft konnte dem Menschen die Frage nach seinem Ursprung und Ziel nicht beantworten; die moderne Welt hat es nicht geschafft, eine sichere und solide Basis für das Zusammenleben der Menschen zu begründen; eine Korruption jagt die andere, das Vertrauen in die Politik hat einen Tiefpunkt erreicht; die Kluft zwischen Reichen und Armen wird immer größer; die junge Generation, die inzwischen als "Generation Null", eine Generation ohne Chancen bezeichnet wird, die übrigens in der Menschheitsgeschichte die bestausgebildetste  ist, steht vor dem Gespenst der Arbeitslosigkeit; Die Menschen sind verunsichert und fürchten einen totalen Kollaps.  Deshalb sind sie  davon überzeugt, dass es keine Wahrheit gibt und dass das Meiste sich als Betrug und Täuschung entpuppt. Auch mit der Kirche wollen sie nichts zu tun haben - zu negativ ist sie besetzt in Form einer christlichen Kultur, mit ihrer Überheblichkeit den anderen Kulturen gegenüber, dem Absolutheitsanspruch und der oft unheilvollen Allianz zwischen Politik und Religion.

Christliche Religion ist für mich wahr

Wie Sie es mit der Religion halten und mit der Wahrheit - das weiß ich nicht. Persönlich halte ich abstrakte Diskussionen um Wahrheit nicht besonders  konstruktiv und erfolgsversprechend. Religiös bin ich nicht flexibel. Weil ich nicht glauben kann, dass eine Mixtur aus unterschiedlichen religiösen Überzeugungen im Leben und Sterben tragen kann. Nur Religion, nur das Absolute vermag es! Nur durch die Verbindung mit dem Absoluten kann ich dem wahren Grund meines Daseins nachspüren, erkennen woher ich komme und wohin ich gehe und dadurch auch Trost in meinem Leben erfahren. Ich will nicht überheblich wirken, für mich ist aber das Christentum die wahre Religion für deren Wahrheit ich Gründe angeben kann.  Um Wahrheit für mich geht es, meinen Glauben. In diesem Sinne gibt es für mich nur eine wahre Religion. So wie für einen Moslem seine Religion die wahre ist und auch für einen Juden die seine.  Das Christentum ist für mich mehr als Philosophie oder ein Denksystem dem ich mich intellektuell nähern kann. Der christliche Glaube ist für mich Heilsbotschaft (Befreiungsbotschaft) und Heilsweg (Befreiungsweg) zugleich. Als Pilatus Jesus fragte, was die Wahrheit ist, wies er auf seine Person hin und antwortet: "Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll". Und im Johannesevangelium hören wir: "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben". Das hebräische Wort "wahr" bedeutet so viel wie Verlässlichkeit, die unverbindliche Tragfähigkeit einer Sache oder eines Wortes, die Treue von Personen.  Mit Objektiven Tatsachen, wie das etwa in der Wissenschaft  der Fall ist, hat dieser Begriff der Wahrheit nichts zu tun, sondern vielmehr mit dem Handeln. Für mich ist Jesus Christus die Wahrheit, weil er der Weg für mich geworden ist, den ich gehe. Seine Worte haben Wahrheitsbedeutung für mein Leben und Sterben. Ich glaube nicht an die christliche Religion und bei aller Schätzung auch nicht an meine Kirche. Sondern an den Einen, der keinen Namen hat, der ist wer er ist, und der sich in Jesus von Nazareth kundgetan hat. Vor allem glaube ich dass die Bergpredigt Jesu die Grundlage für das gerechte Zusammenleben aller Menschen sein könnte. Diese Religion ermöglicht mir, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden, zwischen Liebe und Hass, Hilfsbereitschaft und Profitgier, Moral und Unmoral. Nicht Satzwahrheiten, sondern Praxis und Erfahrung stehen im Vordergrund.

Mut zum Bekenntnis
Der Ring, von dem Nathan berichtet, ist nicht bloß „wunderschön und kostbar“, sondern er enthält einen magischen Stein dessen Wirkung jedoch nur eintritt, wenn der Träger an sie glaubt - die Mitwirkung des Besitzers also ist entscheidend. Unsere Zeit in der wir leben ist durchaus mit dem Hellenismus vergleichbar, dem Paulus in Athen  begegnet (Schriftlesung, Apostelgeschichte 17,16-34). Dialog und Zeugnis, Bekenntnis zur Wahrheit und der Mut das wahre vom falschen zu sichten und zur Sprache zu bringen in der Hoffnung, dass das Licht das von diesem Ring ausgeht, auf andere fällt und sie zur Wahrheit bringt.

 

Blue Flower

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