"Gemeinde entdecken"
Viele Menschen sind von der Kirche enttäuscht und suchen Gott in der Natur. Ein Glaubensweg führt aber nie an der christlichen Gemeinde vorbei. Welche Argumente sprechen für diese Notwendigkeit?
Es könnte sein, dass Sie bis jetzt keine gute Erfahrung mit der Kirche gemacht haben. Vielleicht fragen Sie sich, wozu man eigentlich eine Kirche braucht? Sie sind erfolgreich in Ihrem Beruf, besitzen ein Haus und ein schönes Auto, haben eine Frau und Kinder. Ihrem Leben fehlt nichts. Sie fühlen sich glücklich und sind mit dem, was Sie bis jetzt erreicht haben, zufrieden. Außerdem sind Sie der Meinung, dass die Kirche vier Eigenschaften besitzt, die es unmöglich machen, eine positive Beziehung zu ihr zu haben. Sie ist langweilig, heuchlerisch, geldgierig und völlig unwichtig. Dazu kommt der schwerwiegende historische Ballast der Kirche. Durch ihre Verflechtung mit der politischen Macht in den vergangenen Jahrhunderten wirkt die Kirche auf Sie abstoßend und dem christlichen Ideal der Nächstenliebe widersprechend. Sie fühlen sich von der Kirche bis auf einige wenige religiöse Pflichttermine befreit. Lee Strobel dachte ähnlich über die Kirche. Er war erfolgreicher Journalist der Tageszeitung "Chicago Tribune". Heute ist er Pastor von Willow Creek Church, einer der größten Gemeinden der Welt, die am Stadtrand von Chicago angesiedelt ist. Die Gemeinde von Willow Creek hat das Leben seiner Frau Leslie, die 1979 Christin wurde, verändert. Der kirchendistanzierte Skeptiker erinnert sich 14 Jahre später an diesen Prozess der Veränderung, der ihn auf eine christliche Gemeinde neugierig machte: "Ich sage nicht, dass sie sich über Nacht in Mutter Teresa verwandelt hat, aber ihre Persönlichkeit blühte unübersehbar auf. Es fiel mir an der Art auf, wie sie mit Kindern umging. Ich merkte es an ihrem liebevolleren Verhalten mir und anderen gegenüber".
Wozu eine christliche Gemeinde?
In der praktischen Umsetzung liegt das wichtigste Argument für die Notwendigkeit einer christlichen Gemeinde. Die bewusste Hinwendung zu Gott ist erst der Anfang des Glaubens. Man könnte ihn mit der Geburt und das heißt mit dem Beginn unseres eigenen Lebens vergleichen. Der Mensch kommt zur Welt als Kind. Doch dieses ist vom Anfang an dem Gesetz der Entwicklung unterworfen. Aus einem Baby soll eine reife und selbständige Person werden. Ähnlich soll es im Leben eines Christen sein. Das Ziel ist das Wachstum zur Mündigkeit. Dieses Wachstum kann aber nur - wie im menschlichen Leben - in einem geschützten Rahmen geschehen, den nach Gottes Plan eine christliche Gemeinde bilden soll. Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, wenn Menschen - wie man das oft hört - Gott im Wald oder auf einem Berg suchen. Die Schöpfung bildet genug Anlass, sich an der Natur zu freuen und Gott dafür zu danken, dass er sie so schön gemacht hat. Christliches Leben ist aber ohne Gemeinde undenkbar, weil es eben auf das Wachstum angelegt ist. Christen brauchen Einsichten, Erfahrungen, Erkenntnisse und Korrektur anderer Mitchristen, um nicht in den Kinderschuhen stecken zu bleiben, sondern um Früchte des eigenen Wachstums zu bringen. Hier dürfte der wesentliche Unterschied zwischen Christentum und der modernen Religiosität, wie New Age und Esoterik, liegen. Die letzteren kommen grundsätzlich ohne Gemeinschaft aus und machen Religion zur reinen Privatsache. Christentum ist dagegen davon überzeugt, dass der Glaube eines Menschen ohne Erfahrung einer Gemeinschaft nie lebendig sein kann. Deshalb hat Jesus für seine Nachfolger gebetet, dass sie eine echte Gemeinschaft finden und nicht in Einsamkeit und Isolation leben müssen.
Auch wenn viele Menschen vor einer Gemeinschaft Angst haben, sehnen sie sich heimlich danach. Denn sie ahnen, dass erst eine echte Gemeinschaft mit anderen Menschen die Fülle des Lebens ausmacht. In einer echten christlichen Gemeinschaft lernt man, wie man starke Verbindungen zu anderen und zu Gott knüpfen kann, wie oberflächliche Beziehungen überwunden und gegen dauerhafte Freundschaften ausgetauscht werden. Ein Grund für die Notwendigkeit der christlichen Gemeinde liegt außer dem Wachstum im Glauben auch in ihrer sozialen Funktion. Christen erleben, dass sie aufgrund ihres Glaubens im gewissen Sinne von der Welt getrennt sind: Gemeinde besteht aus Menschen, die untereinander durch etwas verbunden sind, das "die anderen" nicht haben. Das stellt eine natürliche Barriere dar. In der Gemeinde bekommen sie aber ein Beziehungsnetz mit Menschen, die sie verstehen und lieben, und mit denen sie das Tiefste und Wichtigste ihres Lebens teilen. Gemeinde ist der legitime, ja notwendige Ausgleich zur Entfremdung von der Welt, die der Glaube auch immer mit sich bringt.
Was ist eine Gemeinde ?
Es gibt in der Welt schätzungsweise mehr als eine Million christlicher Gemeinden. Sie unterscheiden sich voneinander durch Größe, Tradition und Geschichte. Es gibt Mega-Gemeinden, die bis 5000 Gottesdienstbesucher verzeichnen, und sehr kleine, bei denen 10 bis 50 Gemeindeglieder den Gottesdienst besuchen. Es gibt katholische, evangelische, orthodoxe, freikirchliche und anonyme Gemeinden; solche, die eine jahrhundertlange Geschichte hinter sich haben und Gemeinden, die erst in den letzten Jahren gegründet wurden. Einige halten die Volkskirche für die Gemeinde, andere einen kleinen Kern davon. Wieder andere sagen, dass die wahre Gemeinde Jesu für uns unsichtbar ist und bleibe. Nur Jesus, ihr Herr, kennt sie. Was lehrt aber die Bibel über die Gemeinde? Die Gemeinde hat in der Bibel ein großes Gewicht. In den Schriften der Christen, im Neuen Testament, wird sie 114 Mal erwähnt. Unter Gemeinde wird dort eine sichtbare und verbindliche Lebensgemeinschaft von Menschen verstanden, die Jesus als ihren Herrn angenommen haben. Kein Mensch gehört also von Natur aus zur Gemeinde - die Mitgliedschaft wird ausschließlich durch den Glauben gegründet, und die Taufe ist ein sichtbares Zeichen dafür. Die Mitte der Gemeinde bildet die gottesdienstliche Versammlung, um Gott die Ehre zu geben und ihn anzubeten. Menschen werden zur Gemeinde hingezogen, weil sie dort Gottes Liebe und Kraft erleben. Weil sich die Gemeinde von Jesus bestimmen lässt - er ist ihr eigentliches Geheimnis - ist sie Salz und Licht. Salz meint das Wesen, die Substanz der Gemeinde - sie ist im "Geschmack" unverwechselbar, Licht die Ausstrahlung und Wirkung auf andere.
Kriterien für eine gute Gemeinde?
Für die ältere Generation dürfte diese Frage kaum eine Bedeutung haben. Sie besitzt noch immer eine traditionelle Bindung an Kirche und Gemeinde. Es gibt für sie nur die Kirche, zu der auch ihre Eltern gehörten, in der sie getauft wurden und die sie an wichtigen Scheidepunkten des Lebens begleitet hat. Da diese Bindung an die Kirche in der Regel eine formale und nominale ist, ergibt sich auch nicht die Frage ob eine Gemeinde "gut" oder "schlecht" ist. Das Kennzeichen der jüngere Generation ist Bindungslosigkeit. Falls sich die jüngeren Menschen überhaupt für eine christliche Gemeinde entscheiden, dann wählen sie diese nach folgenden Kriterien aus: - Sie beurteilen den Pfarrer und alle, die im Verkündigungsdienst tätig sind. Die Botschaft, die sie haben, soll eine klare, eindeutige, lebensnahe und überzeugende sein. Sie beurteilen die Gemeinde. Diese soll lebendig und offen für Neues sein, sie soll Gemeinschaftsbewusstsein fördern und klare geistliche Ziele haben. - Und wenn sie in der Gemeinde Menschen finden, mit denen sie Freundschaften knüpfen und einiges gemeinsam erleben können, dann fühlen sie sich angenommen.
Autor: Tadeusz Prokop