"Wie wirken Gemeinden auf Fremde?"
Der Gottesdienst kann mit Recht als Visitenkarte einer Gemeinde bezeichnet werden. Hierzulande ist es allerdings gar nicht so leicht, einen Gottesdienst, welcher konfessionellen Prägung auch immer, zu erleben, der das Lebensgefühl eines Menschen von heute trifft.
Ich bin als Pfarrer in der glücklichen Lage, Mitarbeiter zu haben, die gerne Gottesdienste feiern und diese ebenso gerne in eigener Verantwortung leiten. Dadurch bekomme ich hin und wieder die wohltuende Möglichkeit zum beruflichen ‘Aufatmen’ - einen Sonntag zur freien Verfügung! Ich erinnere mich noch deutlich an einen solchen freien Tag vor vielen Jahren, an dem wir im ‘Familienrat’ beschlossen, eine für uns ‘fremde’ Gemeinde zu besuchen. Nach langem Fahren und aufwendigem Suchen kamen wir an, etwa 15 Minuten vor Beginn eines Gottesdienstes. Aus unserem Auto sahen wir ein kleines, unscheinbares Gebäude, das auf eine Kirche hindeutete. In der Nähe der Tür stand eine Gruppe von etwa 10 Leuten, die zu warten schienen. Unentschlossen blieben wir noch einige Minuten im Auto sitzen. - Schließlich stiegen wir doch aus. Die Gruppe stand noch immer vor der Tür.
Gemeinde war unter sich
Leise und unauffällig schlichen wir uns in die Kirche. Im hellen und freundlich gestalteten Raum gab es noch die letzten, etwas hektischen Vorbereitungen. Ähnlich hektisch und ein wenig verloren suchten wir einen freien Sitzplatz für eine fünfköpfige Familie - möglichst weit hinten, damit keiner in seiner festen Sitzgewohnheit gestört wird. Nach einigen Minuten ertönte die Orgel, und man begann ein Lied zu singen. Die Melodie und die Worte waren sehr alt, es wurde ernst und langsam gesungen. Auch der Chor danach war ungewohnt - insgesamt erzeugte der Gesang einen traurigen Eindruck. Danach stand ein Mann auf und machte einige Ansagen - für die ‘Gemeinde’ bestimmt. Schließlich kam der Pfarrer und stellte sich mit dem Rücken zu den Leuten hin. Nach seinen ersten Worten hörte ich das leidenschaftliche Seufzen meines Sohnes: ‘Papa, nicht schon wieder!’ Überhaupt - je länger wir da waren, desto mehr empfanden wir uns als Fremdkörper. Offensichtlich saßen hier Leute, die unter sich waren. Im übrigen fühlten wir uns die ganze Zeit beobachtet - ob unser Jonathan schuld daran war? Schon einmal mussten wir in einer Gemeinde den Vorwurf einstecken, dass unsere Kinder viel zu laut sind und die Gemeinde in ihrer frommen Gesinnung ständig stören. Nachdem die ‘Versammlung’ zu Ende war, redeten viele vor der Kirchentür miteinander und verabschiedeten sich mit Handschlag. Wir standen allein und kamen uns zunächst recht verlassen vor. Offensichtlich waren wir hier die einzigen Fremden.
Keine gute Visitenkarte für Fremde
Damit Missverständnisse ausgeräumt werden: Ich würde nie über meine Kirche und unsere Gemeinden herziehen oder mich gar lustig zu machen. Was mir aber auf den Nägeln brennt ist die Tatsache, wie unsere Gemeinden von den Fremden, die unsere Kirchenräume betreten, eingeschätzt werden. Ich selber machte damit - als ein Fremder in einer fremden Gemeinde - keine gute Erfahrung und musste danach vor meiner Familie Rechenschaft ablegen, warum ich an meinem freien Sonntag den Kirchgang einem interessanten Ausflug vorgezogen habe. Manfred Beutel konfrontiert in seinem Buch : „Über Mauern springen" mit den Äußerungen, die wohl auf sehr viele Gemeinden zutreffen würden: - „In unseren Gemeinden kann ich niemand mitbringen, weil die Atmosphäre und die Räumlichkeiten nicht stimmen."
- „In unseren Gottesdienst kann ich niemand einladen, weil er so altmodisch ist und wie ein Heimatmuseum."
- „Wenn ich Menschen zu Jesus führe, bete ich dafür, dass sie möglichst spät unsere Gemeinde kennenlernen."
- „Ich kann doch der befreundeten Familie nicht solche nichtssagenden akademischen Predigten zumuten."
Haben wir das Ziel, Fremde zu erreichen?
Kaum einer in der Gemeinde würde diese Frage verneinen. Leider gibt es viel zu viele Barrieren, die es Herrn und Frau Meier von nebenan unmöglich machen, bei uns zum Glauben zu kommen und einen festen Platz in der Gemeinde zu finden. Sollte es nicht nur bei frommen Wünschen bleiben, sondern zum konkreten Ziel werden, müssten unsere Gemeinden bereit sein, sich zu verändern, ihre Traditionen, Abläufe und Sprachgewohnheiten zu überprüfen, so dass Fremde sich richtig wohlfühlen. Allerdings sind nicht Strategien und Techniken und auch nicht äußere Veränderungen dabei ausschlaggebend. Viel wichtiger als diese ist die Tatsache, ob es in unseren Gemeinden Menschen geben wird, die von Gottes Gnade erneuert sind, ihr Leben der Autorität Jesu unterstellen und sich danach sehnen, mitzuerleben, wie andere Menschen in die Familie Gottes aufgenommen werden.
Autor: Tadeusz Prokop